Was sind Risikobewertungen zur Lebensmittelsicherheit und warum werden sie eingesetzt?

Zuletzt aktualisiert : 05/06/2019
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    Lebensmittelsicherheit betrifft uns alle, und in unserem Alltag wollen wir natürlich die Lebensmittel vermeiden, die unsere Gesundheit gefährden. Wer bewertet, was bedenkenlos genießbar ist und was nicht? Worauf beruhen Ihre Entscheidungen?  Bei näherer Betrachtung der Risikobewertungsverfahren kann man eine Erklärung dafür finden. Die Risikobewertung eines Lebensmittels oder Zutates umfasst die Gefahrenermittlung und –beschreibung, die Ermittlung der Exposition und die Risikobeschreibung. Dies führt zur Entscheidung darüber, ob etwaige rechtliche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die durch dieses Lebensmittel oder Zutat verursachten Schäden zu verhindern.

    Netzwerk der Organisationen für Lebensmittelsicherheit

    Organisationen für Lebensmittelsicherheit bewerten kontinuierlich, ob neue oder bereits bestehende Lebensmittel bedenkenlos genießbar sind. Sie bewerten manchmal gesamte Lebensmittelgruppen, wie verarbeites Fleisch, oder Lebensmittelzutaten wie einzelne Zusatzstoffe. Das können globale Organisationen wie Codex Alimentarius oder der Gemeinsame FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) sein. Es gibt auch regionale Organisationen, wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), sowie nationale, wie die Französische Agentur für Nahrungssicherheit, Umwelt und Arbeitsschutz (ANSES) und das deutsche  Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Gemeinsam bilden sie ein weltweites Netzwerk, das sich für unsere Gesundheit und Sicherheit einsetzt.

    Was ist der Unterschied zwischen Risikoabschätzern und Risikomanagern?

    Bei der Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln unterscheidet man zwischen Risikoabschätzern und Risikomanagern. Risikoabschätzer nennt man Organisationen, die die potentielle Schädlichkeit eines Lebensmittels oder Zutates bewerten. Zum Beispiel, JECFA und EFSA sind Risikoabschätzer. In Europa arbeiten Risikoabschätzer mit Risikomanagern zusammen (u.A. mit der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament), die Rechtsvorschriften für das bewertete Lebensmittel oder Zutat erarbeiten. Kurz gesagt, Risikoabschätzer überprüfen die verfügbaren wissenschaftlichen Daten über die Sicherheit eines bestimmten Lebensmittels oder Zutates und geben den Risikomanagern Informationen und Empfehlungen. Schließlich entscheiden Risikomanager darüber, ob etwaige rechtliche Maßnahmen ergriffen werden sollen (z.B. Genehmigung oder Beschränkung des Inverkehrbringens von bestimmten Zutaten).1

    Wie funktioniert das in der Praxis?

    Ein Risikomanager, zum Beispiel die Europäische Kommission, ein Mitgliedstaat oder ein unabhängiger Antragsteller (beispielsweise ein Unternehmen, das einen neuen Zusatzstoff in seinem Produkt verwenden will), bittet den Risikoabschätzer, zum Beispiel die EFSA, um eine Stellungnahme zur Sicherheit und Verwendung eines bestimmten Lebensmittels oder Zutates.2  Ein einschlägiges Gremium von ausgewählten Experten der EFSA (beispielsweise das Gremium für Lebensmittelzusatzstoffe) bewertet die verfügbaren wissenschaftlichen Daten und erarbeitet den Entwurf einer Stellungnahme. Die Daten können von dem Antragsteller zur Verfügung gestellt werden, oder kann die EFSA zusätzliche Daten von nationalen Stellen, von der Industrie, von Forschungsinstituten oder anderen einschlägigen Quellen anfordern. Gremien können auch im Rahmen öffentlicher Konsultationen um einen Input zu ihrem Entwurf einer Stellungnahme bitten. Unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Daten und Besprechungen, trägt die EFSA ihre endgültige Stellungnahme  dem Antragsteller, d.h. dem Risikomanager vor.  Neben dieser Stellungnahme berücksichtigt der Risikomanager aber auch andere Elemente, zum Beispiel wirtschaftliche Aspekte oder politische Einstellungen, um über etwaige gesetzliche Maßnahmen bezüglich des Lebensmittels oder Zutates zu entscheiden. Auf diese Weise bleiben Wissenschaft und Gesetzgebung  voneinander getrennt, dennoch eng miteinander verwoben.

    Was ist der Unterschied zwischen Gefahr und Risiko?

    Zur Durchführung einer gründlichen Risikobewertung empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass sowohl Gefahren als auch Risiken geprüft werden.3  Die Begriffe Gefahr und Risiko werden oft  falsch austauschbar verwendet, obwohl sie eigentlich nicht die gleiche Bedeutung haben. Unter Gefahr versteht man etwas, das das Potential hat, Schäden zu verursachen – z.B. ein Blitzschlag. Risiko definiert man als die Wahrscheinlichkeit, dass diese Gefahr Schäden verursacht, und hängt von Ihrer Situation ab. Wenn Sie sich, zum Beispiel, während eines Sturmes drinnen befinden, ist das Risiko eines Blitzeinschlages gering.  Wenn sie sich dabei draußen befinden, ist das Risiko größer. 4 Mit anderen Worten – je niedriger die Gefährdungsexposition (in Ausmaß und Dauer), desto niedriger das Risiko.

    Die 4 Schritte der Risikobewertung

    Im Rahmen der Risikobewertung sollten einige Schritte unternommen werden, um die mit einem Lebensmittel oder Zutat verbundenen Gefahren und Risiken zu bewerten.4,5

    Schritt 1 –Gefahrenermittlung: “Könnte das Lebensmittel, oder irgendwas, das drin steckt, schädlich sein?”

    Risikoabschätzer sammeln und überprüfen wissenschaftliche Daten und ermitteln biologische oder chemische Gefahren im Lebensmittel.

    Schritt 2 – Gefahrenbeschreibung: “Welche Auswirkungen haben die Gefahren?”

    Durch die Bewertung wissenschaftlicher Daten stellen Risikoabschätzer fest, ob die Beweislage stark genug ist, um Erkenntnisse zu belegen, dass eine Substanz potentiell Schäden verursachen kann.Sie untersuchen die Art der gesundheitlichen Auswirkungen und berechnen, wenn möglich, einen unbedenklichen Expositionswert.

    Schritt 3 –Expositionsbewertung: “Wer ist möglicherweise gefährdet und welcher Expositionswert könnte schädlich sein?”

    Experte schätzen, welcher Menge des Lebensmittels oder Zutates Verbraucher im Allgemeinen, Bevölkerungsgruppen (beispielsweise Säuglinge, Kinder, Erwachsene) oder Teilpopulationen (beispielsweise Vegetarier und Veganer) unter realen Lebensbedingungen wahrscheinlich ausgesetzt sind, wobei sowohl Ausmaß als auch Dauer berücksichtigt werden. Die Exposition muss bewertet werden, um festzustellen, ob die Gefahr ein tatsächliches Risiko darstellt (Schritt 4). Durch Erhöhung der Exposition erhöht sich auch das Risiko.

    Schritt 4 – Risikobeschreibung: “Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen im realen Leben einen Expositionswert erleben, das Schaden verursachen kann?”

    Als letzten Schritt wird die endgültige Schlussfolgerung über den Risikograd formuliert. Unter Berücksichtigung der vorherigen Schritte berechnet man die Wahrscheinlichkeit, dass je nach Art der Gefahr und Expositionswert, das Lebensmittel oder Zutat Schaden verursacht. Der Expositionswert, der Schaden verursachen kann, wird mit dem tatsächlichen Expositionswert verglichen, den jemand im realen Leben erleben würde. Wenn der tatsächliche Expositionswert höher als denjenigen ist, der Schaden verursacht, könnte es für Verbraucher im Allgemeinen oder für spezifische Gruppen ein Sicherheitsproblem darstellen.

    Der wichtige Unterschied zwischen Gefahrenbeschreibung und Risikobewertung

    Es muss daran erinnert werden, dass bei einer Gefahrenbeschreibung, die Stärke der Beweise der Schädlichkeit einer Substanz untersucht wird. Bei dem Monographen-Programm der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) wird zum Beispiel  untersucht, ob ein Stoff Krebs verursachen kann, aber es wird nicht berechnet, ob der Expositionswert hoch genug ist, um bei Menschen das Risiko für Krebs tatsächlich zu erhöhen. Der Schritt der Gefahrenbeschreibung im Rahmen der Risikobewertung (Schritt 2) wird durchgeführt und teilen die Gefahren in Gruppen von 1 bis 4. Die Eingliederung in Gruppe 1 weist auf starke wissenschaftliche Beweise für einen krebserregenden Stoff hin (beispielsweise Lebensmittel oder Zutat), während eine Eingliederung in Gruppe 4 darauf hinweist, dass genügend Beweise vorliegen, um festzustellen, dass der Stoff wahrscheinlich keine krebserrengende Wirkung bei Menschen hat. Im Fall mangelnder, ungeeigneter oder für Menschen unschlüssiger Beweise, wird der Stoff in Gruppe 2 oder 3 eingestuft.6 Zwei Stoffe aus derselben Gruppe können nicht alleine aufgrund ihrer Einstufung nach der Gefahrenbeschreibung verglichen werden, da ihre jeweiligen Risiken und Wirkungen im wahren Leben sehr unterschiedlich sein können, wenn die Expositionsbewertung (Schritt 3) ebenfalls berücksichtigt wird.

    Erhöht verarbeitetes Fleisch das Risiko für Krebs?

    Die mangelnde Klarheit in der Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko hat im Laufe der Jahre zu irreführenden Schlagzeilen geführt, was manchmal den Eindruck entstehen lässt, dass Experte sich gegenseitig widersprechen. Das IARC stufte zum Beispiel im Jahr 2015 verarbeitetes Fleisch als Karzinogen der Gruppe 1 ein8 – der gleichen Gruppe, der Asbest und Tabak angehören. Das bedeutet, dass es gemäß der Gefahrenbeschreibung (Schritt 2) überzeugende Beweise dafür gibt, dass verarbeitetes Fleisch Krebs verursachen kann. Infolgedessen ist aus den Zeitungen hervorgegangen, dass verarbeitetes Fleisch so schlimm für Sie ist wie Tabak. Andere Experte sagen, dass es nicht der Fall ist. Also worauf beruhen diese Aussagen?

    Ein wichtiger Punkt ist, dass sich einige Medien des Unterschiedes zwischen Gefahr und Risiko nicht bewusst waren, und verwechselten daher die Schlussfolgerung der IARC-Gefahrenbeschreibung mit einer vollständigen Risikobewertung. Die WHO hat dieses Missverständnis später geklärt7, unter Betonung dessen, dass die IARC-Einstufung auf genügend Beweise dafür hinweist, dass verarbeitetes Fleisch Krebs verursachen kann, aber dass es nicht bedeutet, dass verarbeitetes Fleisch und Tabak gleichermaßen gefährlich sind oder dass sie, obwohl in der gleichen IARC-Gruppe eingestuft, das gleiche Risiko für die Gesundheit darstellen. Die Verwechslung von Gefahrenbeschreibung mit einer vollständigen Risikobewertung kann daher zu falschen Schlussfolgerungen führen. Die WHO hat festgestellt, dass ein sicherer Schwellenwert für Fleisch nicht bestimmt wurde, und dass das Risiko mit der verbrauchten Menge zunimmt. Viele Ernährungsrichtlinien empfehlen eingeschränkte Verzehrsmengen von rotem und verarbeitetem Fleisch, aber in erster Linie zur Verringerung der Fett- und Natriumaufnahme. Allerdings könnten Menschen, die sich über Krebs Gedanken machen, ihren Verbrauch an rotem und verarbeitetem Fleisch mäßigen.8 

    Schlussfolgerung

    Die komplexen Sicherheitsbewertungen der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, umfassen mehrere Schritte. Risikoabschätzer überprüfen die Beweise, definieren die Gefahren und bewerten die Risiken, bevor sie ihre wissenschaftliche Stellungnahme den Risikomanagern anbieten. Die Risikomanager entscheiden dann, ob und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um Schäden zu verhindern. Das globale Netzwerk von Risikoabschätzern und Risikomanagern sorgt dafür, dass wir unser Essen genießen, ohne uns darüber Gedanken zu machen, ob es eine Bedrohung für unsere Gesundheit darstellt. Wenn man den Risikobewertungsprozess nur teilweise berücksichtigt, kann man voreilige Schlüsse ziehen und einen falschen Eindruck von den mit bestimmten Lebensmitteln oder Zutaten verbundenen Risiken vermitteln.

    References

    1. European Food Safety Authority (EFSA). Infographic: Risk Assessment vs. Risk Management. Accessed 24.10.2018,
    2. European Food Safety Authority (EFSA). Interactive pages: EFSA’s scientific process. Accessed 17.04.2019,
    3. World Health Organization (WHO). Risk assessment. Accessed 25.10.2018.
    4. European Food Safety Authority (EFSA). Infographic: Hazard vs. risk. Accessed 24.10.2018.
    5. ) European Food Safety Authority (EFSA). Interactive pages: The four steps of risk assessment. Accessed 17.04.2019.
    6. International Agency for Research on Cancer (IARC) (2015). IARC Monographs Questions and Answers. Accessed 24.10.2018.
    7. World Health Organization (WHO) (2015). Q&A on the carcinogenicity of the consumption of red meat and processed meat. Accessed 16.01.2019.
    8. International Agency for Research on Cancer (2015). IARC Monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans; volume 114. Red and processed meat.